Donnerstag, 4. September 2008

WESER KURIER, 28.08.2008

Flanieren in Rauschen und Dröhnen
Autonomes Architektur Atelier führte durch die Bahnhofsvorstadt bis ins Fesenfeld

Von Chris Ruschin
BAHNHOFSVORSTADT. Verkehrsprobleme aus der Sicht von Nicht-Autofahrern verstehen lernen - das war das Ziel eines Spaziergangs entlang des Rembertirings ins Viertel, den das Autonome Architektur Atelier (AAA) in Kooperation mit dem Verein Ökostadt Bremen am Sonntag leitete. Damit knüpften die Veranstalter an die Vorträge der Umwelttage an, die Ökostadt im vergangenen Jahr zum Thema Stadtentwicklung organisiert hatte.
Los ging es auf dem Skaterparcours zwischen Bahnhofsplatz und Hochstraße. "Hier wird deutlich, wie sehr der Zug als historisches und das Auto als modernes Massentransportmittel den Raum bestimmen", sagte Oliver Hasemann vom Architektur-Atelier, der zusammen mit Daniel Schnier und Gregor Straube, einem Mitarbeiter des Vereins Ökostadt, den Spaziergang begleitete. Einen ersten Stopp legten die 50 Teilnehmer auf einer kleinen Grünfläche mitten auf dem Rembertiring ein. "Ein genialer Blick auf die Hochstraße", rief Schnier, um den Verkehrslärm zu übertönen. Allerdings verwies er auch auf die Wohnungen direkt nebenan. Schnier: "Unvorstellbar."

Durch knöchelhohes Gras stapften die Spaziergänger anschließend über ein weiteres "Niemandsland": die Verkehrsinsel am Rembertikreisel. Hasemann und Schnier erzählten von dem erfolgreichen Widerstandgegen die Mozarttrasse im Jahr 1973. Diese Schneise sollte dem steigenden Autoverkehr gerecht werden. Nach massiven Protesten von Anwohnern wurde der Bau der Trasse jedoch verhindert - nachdem schon 70 Häuser abgerissen waren.
Auf dem Parkplatz eines Car-Sharing-Unternehmens lobten die Architekten die Idee des "Auto-Teilens" als sinnvollen Ansatz zur Reduzierung des Autoverkehrs. "Im Viertel ist die Quote der Autos pro Einwohner um fünf bis zehn Prozent niedriger als in der restlichen Stadt", sagte Hasemann. Das liege nicht zuletzt an der labyrinthartigen Einbahnstraßenstruktur und den schlechten Möglichkeiten zum Parken.
In den 90er Jahren habe man daran gedacht, aus dem Viertel einen verkehrsberuhigten Bereich zu machen, erzählten Schnier und Hasemann. Allerdings sei auch dieser halbherzige Versuch im Ostertorsteinweg nach nur einer Woche wieder verworfen worden, da sich viele Ladenbesitzer und Besucher von außerhalb beschwert hätten. Inzwischen gebe es neue Pläne zur Lösung der angespannten Verkehrssituation in den Straßen des Viertels, zeichnete Schnier die Diskussion über das von der EU geförderte "Shared Space"-Konzept nach. In der Vorbildgemeinde Bohmte (wir berichteten) gibt es keine Bordsteinkanten, keine Ampeln und keine Verkehrsschilder mehr. "Da muss man richtig aufpassen", sagt der Architekt Schnier. Mit dem Projekt solle ein umsichtigeres Miteinander der Verkehrsteilnehmer gefördert werden. Und es funktioniert: Die Zahl der Unfälle ist in Bohmte stark zurückgegangen.
Ein weiteres Thema des Spaziergangs war der Pendlerverkehr, der durch die dezentrale Siedlungsstruktur gefördert wird. Dies sei nicht nur aus der ökologischen Perspektive problematisch, sondern auch hinsichtlich der alternden Gesellschaft, meinten die Stadtführer. Für alte Menschen seien weite Strecken oftmals eine Zumutung. Der Rundgang endete in der St.-Jürgen-Straße. "Das ist keine Missionsfahrt gewesen", betonte Hasemann. Optimal wäre, wenn sich die Spaziergänger "bewusst geworden sind, wie die Stadt strukturiert ist und wie Verkehr funktioniert".

© www.weser-kurier.de | von der WESER-KURIER Mitarbeiterin Chris Ruschin, FOTO: Daniel Schnier

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