Mittwoch, 18. November 2009

WESER KURIER, 16.11.2009

Spaziergang durch eine "tote Stadt"
Autonome Architekten erkunden ehemalige und aktuelle Bauplätze in der Neustadt


Von Christian Meyer
Alte Neustadt. Der Matsch stört niemanden. Viel zu interessant und aufregend ist nämlich der Grund für die schmutzigen Schuhe: Mitglieder und Gäste des Autonomen Architektur Ateliers (AAA) betreten beim "urbanen Stadtspaziergang" unter anderem das Baugrundstück rund um die Umgedrehte Kommode.
Die Route, die sich Daniel Schnier und sein Kollege Oliver Hasemann vom AAA diesmal für die rund 100 Teilnehmer ausgedacht haben, führt über den Teerhof und das Franziuseck schnurstracks zur Umgedrehten Kommode an der Werderstraße. Etwa drei- bis viermal im Jahr veranstaltet das AAA einen sogenannten urbanen Stadtspaziergang. Dabei sollen besondere Orte eines Stadtteils vorgestellt werden, die außerdem exemplarisch für die Entwicklung eines Quartiers stehen.
Das Bauprojekt in der Werderstraße, dort sollen in den kommenden Jahren etwa 300 Wohneinheiten entstehen, ist bei vielen Bremern umstritten. Genau wie das Vorhaben am Franziuseck. Hier sind drei Gebäude geplant (wir berichteten). So beteiligten sich am Spaziergang der Architekten auch viele Mitglieder der Bürgerinitiativen, die sich gegen die Bauvorhaben oder deren Folgen wehren.
Erste Station des Spaziergangs ist der Teerhof, "die tote Stadt", wie sie Daniel Schnier nennt. "Bis zum Anfang der 90er- Jahre war das hier noch eine Fläche zum Parken", erklärt Hasemann. Um die Stadt, vor allem die Innenstadt zu beleben, wurden Wohnhäuser auf dem Areal gebaut. Und um die Fläche, die zwischen zwei Weserarmen eingeklemmt ist, an das Schlachte-Ufer anzuschließen, wurde dann 1993 die Teerhofbrücke gebaut.
"Die ist ein sehr teurer Witz", erläutert Architekt Hasemann. Erst sei sie zu niedrig geplant worden, woraufhin die Brücke wegen des Schiffverkehrs höher gelegt werden musste. Und heute werde die Brücke sehr wenig genutzt, stellt Schnier fest. Das liege wahrscheinlich daran, dass sich der Hauptverkehr auf den zwei Brücken, zwischen die der Teerhof eingeklemmt ist, abspiele. Für ihn sei der Teerhof ein Beispiel für verfehlte Stadtplanung. Dem Quartier fehle einfach die richtige Mischung.
Die Bauvorhaben an der Werderstraße werden in den nächsten Jahren etwa 1000 neue Einwohner in die Neustadt locken. Der Großteil davon wird Wohnungen auf dem ehemaligen Wasserwerkgelände beziehen. "Seit 1983 wird die Umgedrehte Kommode nicht mehr zur Wasseraufbereitung genutzt", erklärt Schnier. Seitdem wurde über eine alternative Nutzung des Gebäudes und des Geländes nachgedacht.
Das Problem bei dem ehemaligen Wasserkraftwerk sei, dass es unter Denkmalschutz stehe, lässt Schnier die Spaziergänger wissen. Deswegen seien viele Vorschläge für eine Nutzung der Kommode bislang nicht umgesetzt worden. Ein Restaurant im oberen Teil des Gebäudes sei nicht möglich, weil man es nicht beliefern könnte. "Es gibt nur schmale Aufgänge." Die Möglichkeit, außen einen Fahrstuhl zu bauen, scheitere am Denkmalschutz.
"2004 wurde dann der Bauplan 2222 aufgestellt", berichtet Daniel Schnier. Dieser habe eigentlich auch eine Nutzung der Kommode vorgesehen. Weil die aber nach wie vor nicht in Sicht sei, sei im Bauplan auch nur von der Bebauung des Grundstücks die Rede. "Die Baufläche beträgt etwa 100000 Quadratmeter - das sind rund 20 Fußballfelder", erklärt Schnier den Zuhörern. Zwei Flächen seien für Wohnungsbau vorgesehen, weitere für Erschließung und Grünflächen. "Wobei eine Grünfläche ja alles sein kann - ein Park oder ein paar Bäume." Da könne man wirklich gespannt sein, was denn tatsächlich angelegt werde.
Mit Grünflächen in Nachbarschaft zur Umgedrehten Kommode befasst sich am kommenden Donnerstag auch der Beirat Neustadt: Bei einer Sitzung ab 19.30 Uhr in der Aula der Wilhelm-Kaisen-Schule an der Valckenburghstraße geht es unter anderem um die Grünplanung im Zuge der Stadtwerder-Bebauung, gegen die die Bürgerinitiative "Kleiner Stadtwerderwald" Sturm läuft. Am vergangenen Sonnabend fand ein Aktionstag gegen die angedachte Fällung von Bäumen für sogenannte "Sichtachsen" statt, für diese Woche sind weitere Aktionen der Initiative angekündigt. Siehe auch Bericht Seite 4.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 16.11.2009 Text von Christian Meyer freier Mitarbeiter der Bremer Tageszeitungen AG, Foto: Roland Scheitz

Sonntag, 15. November 2009

"WasserWerkWeg! - Wohnen im Reservoir" Dokumentation und Resumee vom 08.11.2009



















Stadtwerderweise

Nicht unerwartet aber in der Menge dann doch sehr überwältigend konnten wir am vergangenen Sonntag über 120 BesucherInnen an der Haltestelle Wilhelm-Kaisen-Brücke begrüßen, die sich mit uns auf eine Erkundungstour über den Stadtwerder machen wollten. Einem Areal, das momentan heiß diskutiert ist, wie wir schon gleich zu Beginn unseres Urbanen Ökostadtspaziergangs spüren konnten.

Doch bevor wir uns dem Objekt der aktuellen Diskussion näherten, führte uns der Weg an einen Ort, dessen Bebauung bis heute immer noch umstritten ist, obwohl sie größtenteils schon 20 Jahre zurückliegt. Auf dem Teerhof sind in den frühen 90er Jahren Wohnbauten entstanden, die das Provisorium aus Parkplatz, Zirkusplatz und Freifläche beendeten, das hier nach dem 2.Weltkrieg geherrscht hatte. An der Bebauung und vor allem der Freiraumgestaltung, die einen unbelebten Eindruck vermittelte, entzündeten sich auch an diesem Sonntag wieder Diskussionen darüber, warum an einer so prominenten Stelle im Bremer Innenstadtgebiet diese Lösung beschlossen wurde und warum sie nur teilweise (die Wohnungen werden gut nachgefragt) erfolgreich ist (inklusive des Schildbürgerstreichs mit der zu niedrig geplanten Brücke, die für teures Geld nachgebessert werden musste).

Die Eindrücke vom Teerhof aufgreifend führte der Weg auch am neuen Sitz der Beluga Reederei vorbei, Über die Herrlichkeit gelangten wir in die Werderstraße, wo in unmittelbarer Nachbarschaft der DGzRS ein attraktiver Flusspunkt entstehen könnte. Die Pläne hier Gebäude zu errichten, nach Schilderung der TeilnehmerInnen entweder Wohn- oder Bürogebäude, stoßen dabei allerdings auf technische und rechtliche Fragen der Machbarkeit, erregen aber vor allem auch Widerstand unter den AnwohnerInnen. Mit Blick auf die "kompakte Stadt" als Hintergrund unseres Spaziergangs wäre eine Bebauung natürlich eine Maßnahme, die dieser kompakten Stadt gerecht würde. Denn gerade in dieser zentralen Lage wären kurze Wege zu den Arbeitsplätzen und Versorgunseinrichtungen gewährleistet. Nur führt jede Bebauung im Stadtbereich natürlich zu einer Konfrontation mit den schon anwesenden NachbarInnen, die ungern auf ihren Ausblick verzichten wollen, wachsende Autoverkehre ablehnen und den vorhandenen Zustand liebgewonnen haben.

Schließlich erreichten wir das Gelände des ehemaligen Wasserwerks. Rund um die "umgedrehte Kommode" haben die Baumaschinen das lange Jahre im Dornröschenschlaf liegende Areal längst aufgeschreckt. Anstatt der 17 Filterbecken, die einst das Trinkwasser für die BremerInnen gewannen, klaffen nun Baugruben auf, in denen die Fundamente für die kommenden 350 Wohneinheiten ruhen werden. Allein die "umgedrehte Kommode" bleibt stehen, auch wenn ihre weitere Nutzung noch unklar ist. Aus einem abgeschirmten Gewerbegebiet soll sich langsam ein neues Stadtquartier entwickeln, noch steht der Zaun, noch gibt es keine BewohnerInnen und noch herrscht Skepsis. Am Zaun, nicht weit von geplanten Sichtbeziehungen zwischen Neustadt und der "umgedrehten Kommode", entspannte sich dann auch wieder die Diskussion. Bäume weg oder nicht, hilft eine Brücke über den Werdersee der Belebung des Buntertorsteinwegs, soll dieses Gebiet geöffnet werden oder ist es besser, wenn an dieser Stelle alles bleibt wie es ist? Eine spannende Diskussion, die sich auf dem Spaziergang nicht auflösen ließ und die am 19. November 2009 im Beirat Neustadt entschieden wird.
Wir danken an dieser Stelle für die Diskussion und vor allem für die Teilnahme an diesem dritten und letzten Urbanen Ökostadtspaziergang für dieses Jahr. Resümierend lässt sich festhalten, das die Anzahl der Teilnehmerinnen an den Spaziergang exponential zur Nähe zum Stadtzentrum zunahm (von 15 TeilnehmerInnen in der Hemelinger Marsch über 45 TeilnehmerInnen in Findorff hin zu 120 TeilnehmerInnen auf dem Stadtwerder), für uns ein hinreichender Beweis für das Leitbild einer kompakten Stadt.
Text: Oliver Hasemann (HB), Fotos: Björn Franke (OL) (Lieben Dank an Björn)