Montag, 31. März 2014

Weser Kurier, 30.03.2014 "Spaziergänger entdecken die Potentiale" (c) Vanessa Ranft


Spaziergänger entdecken die Potenziale

Wo einst dichter Rauch aus Schornsteinen von Industrieanlagen emporstieg, sprießt heute lichte Vegetation. Solche und andere räumliche Entwicklungen Hemelingens verdeutlichten Daniel Schnier und Oliver Hasemann vom „Autonomen Architektur Atelier“ während eines urbanen Spaziergangs über alte Dorfwege.

VON VANESSA RANFT
Hemelingen. Altindustrielle Brachen, die in der Nähe von hochmodernen Einkaufszentren liegen, und Rüstungsunternehmen mit Millionengewinnen, die neben Kirchen stehen: Hemelingen ist ein Stadtteil mit vielen Kontrasten. Dennoch ist der Stadtteil von einem historischen und dörflichen Charakter geprägt, der nicht zuletzt daran erkennbar ist, „dass die Öffnungszeiten der Einzelhändler heute noch genauso wie vor 20 Jahren sind“, weiß Oliver Hasemann.
Gemeinsam mit Daniel Schnier und rund 35 Interessierten erkundete er unter dem Motto „Neue Zinnen auf alten Schlössern – eine Zeitreise über alte Dorfwege“ den Ortsteil, stellte seinem Publikum diverse Stätten vor, erzählte deren Geschichte und erläuterte deren frühere Funktionen. Bereits vorab kündigte er den Spaziergängern an: „Wir werden eintauchen, anhalten und an etwas ruhigeren Orten vielleicht auch ein wenig verweilen. Wir werden keine Führung machen, sondern einen Spaziergang.“
Und so führte der urbane Spaziergang von der Gedenktafel für Carl F. W. Borgward, der bis zu seinem Konkurs im Jahr 1961 der größte Arbeitgeber Bremens war, unter anderem über das Mercedes-Werk, den Sitz von Atlas-Elektronik, das Areal von Rheinmetall-Defence, die St. Godehard-Kirche, das Brachland neben der Wilkens-Straße, das Kubiko, die Silberwarenmanufaktur Wilkens und das ehemalige Gelände von Wurstfabrikant Könecke.
Die Idee, urbane Spaziergänge anzubieten, kam den beiden Männern vor acht Jahren: „Wir wollten unser Wissen teilen und öffentlichen Raum für Jung und Alt erlebbar machen“, erklärt Daniel Schnier den Leitgedanken. Seitdem bieten die beiden Stadtkundler des „Autonomen Architekten Ateliers“ zwischen acht und zwölf Spaziergänge im Jahr an und durchkämmen dabei die verschiedensten Ecken in den Bremer Stadtteilen.
„Das Schöne ist, dass man auf diese Weise viele Wege geht, die man alleine nie gehen würde“, findet Yann Colonna. Besonders gut gefällt dem 25-jährigen Studenten die „witzige, kommunikative und zugleich konventionelle und unkonventionelle Art der beiden, über Räume aufzuklären“. Dass sie historische und technische Fakten unterhaltsam aufbereiten und ausschließlich zur Erläuterung nutzen, um einen Eindruck über die Evolution des Ortes zu geben, begrüßt er.
Hauptberuflich beschäftigen sich Daniel Schnier, studierter Architekt, und Oliver Hasemann, Stadt- und Raumplaner, mit dem Thema Gewerbe-Leerstände und Stadtplanung. Dabei betrachten sie Orte gezielt im Hinblick auf ihre Potenziale, ihre möglichen Nutzungen und die Bedürfnisse der Anwohner. Dieses Wissen lassen sie mit in ihre urbanen Spaziergänge einfließen und regen die Gruppe zu Diskussionen an.
Auch Hans-Peter Hölscher setzt sich über den Spaziergang hinaus mit diesen Fragen auseinander. Er ist Mitglied im Projektausschuss Stadtteilentwicklung Hemelingen und vertritt die Meinung, dass „die Areale von Coca Cola, Könecke und der Haltepunkt Föhrenstraße ideales Gelände wären, um etwas Neues zu bauen“. Und genau dies werde momentan im Nutzungsplan des Hemelinger Beirates diskutiert.
Er sehe das Problem darin, dass Industrie- und Wohngebiete sich oftmals direkt nebeneinander befänden, sei aber davon überzeugt, dass man in Hemelingen gut leben könne. Das Beispiel Überseestadt zeige in seinen Augen, wie eine Neunutzung industrieller Gebiete gelinge. Auch wenn er Hemelingens dörflichen Charme auf jeden Fall beibehalten möchte.
Und so werden wohl auch zukünftig alte Hemelinger Dorfwege mit Kopfsteinpflaster die Wege großer Schneisen kreuzen. Unterstützt wurde die Veranstaltung durch die Firma „Energiekonsens“ und den „Bauraum Bremen“.
Der nächste urbane Spaziergang führt am Sonntag, 18. Mai, durch Findorff. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Torfkanalhafen. Die Teilnahme ist kostenlos.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Text und Autorin: Frau Vanessa Ranft, Fotografien: Frau Petra Stubbe, Ausgabe: SOS des Stadtteilkuriers des Weser Kurier, Seite: 2 Datum: 30.03.2014

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