Donnerstag, 22. März 2007

WESER KURIER, 22.03.2007

Eine Reise in die "Vahrgangenheit"
Unterwegs mit Stadtteilbewohnern im Aalto-Hochhaus

NEUE VAHR. Werner Hasemann pustet ein kräftiger Wind um die Ohren. Seine grauen Haare flattern im Wind. Er seufzt. Nun ist er also wieder hier - in der Vahr. Hasemann steht auf dem Dach des Aalto-Hochhauses und plötzlich ist er gepackt von Erinnerungen: "Da! Da unten hinter dem Rennplatz! Da war das Flüchtlingslager. Von den britischen Soldaten bekamen wir Kinder immer Süßigkeiten!", sprudelt es ihm hervor. Plötzlich ist alles wieder da: Seine Kindheit und Jugendzeit in der Neuen Vahr.

Den Besuch auf dem Aalto-Hochhaus verdankt Hasemann seinem Sohn Oliver. Der ist Diplom-Ingenieur für Raumplanung und hat gemeinsam mit seinen Kollegen Daniel Schnier und Alexander Kutsch das Autonome Architektur Atelier Bremen (AAA) gegründet. Zu dritt organisieren die drei jungen Architekten und Raumplaner kostenlose Spaziergänge durch die Hansestadt und bringen den Teilnehmern interessante Bauprojekte näher. "Die Vahr war eines der bedeutendsten Bauprojekte im Nachkriegsdeutschland", erzählt Alexander Kutsch. Das Quartier war eine der ersten Trabantenstädte, in denen das Konzept der Funktionstrennung von Arbeit und Wohnen verwirklicht wurde. Die Vahr wurde als reines Wohnviertel mit großzügigen Grünanlagen geplant.

In diesem Jahr feiert der Stadtteil sein 50-jähriges Bestehen. Grund genug, auf das halbe Jahrhundert Vahr zurückzublicken. Für viele Architekten, Stadt- und Raumplaner - und wohl auch für die meisten Vahraonen - ist der Stadtteil nach wie vor ein besonderes Quartier. "In den 50er Jahren herrschte in Bremen große Wohnungsnot. Schätzungsweise 30 000 Kriegsflüchtlinge brauchten Wohnraum", erzählt Kutsch. Für den jungen Raumplaner ist das eine Situation, "die ich mir gar nicht richtig vorstellen kann". Bremen löste das Wohnraumproblem auf einen Streich: In der Vahr wurden zehntausend Wohneinheiten innerhalb kurzer Zeit hochgezogen. "Die Wohnungen waren für damalige Verhältnisse mit großen Badezimmern und Balkonen sehr modern ausgestattet. Für uns war das richtiger Luxus", erinnert sich Werner Hasemann.

Geboren wurde er auf der Flucht aus Schlesien. Eigentlich sollte die Familie bei der Großmutter in Hastedt unterkommen - aber das Haus, in dem sie wohnte, war ausgebombt. "Und so lebten wir erst in Holzbaracken des Flüchtlingslagers hinter dem Rennplatz, später in der Gartenstadt und schließlich in der Neuen Vahr." Die Kinder spielten zwischen den Baustellen. Das war Abenteuer pur! Wir brauchten keinen Spielplatz", erinnert er sich und lächelt.

Schulen wurden erst später gebaut und so musste Hasemann weit in die Stadt zur Schule fahren. "Auch die Straßenbahnanbindung kam erst sehr spät", erinnert er sich. Dennoch habe man sich als Bewohner der Vahr als sozialer Aufsteiger gefühlt. "Das Verhältnis zu den Nachbarn war sehr freundschaftlich. Soziale Konflikte gab es nicht." Als später Reihenhäuser auf Eigentumsbasis gebaut wurden, gab es Spannungen. Einige Nachbarn zogen weg ins eigene Häuschen. Jene, die blieben, tuschelten über die ehemaligen Nachbarn, die sich nun wohl als etwas Besseres fühlten.

"Die Vahr war immer eine SPD-Hochburg. Ich glaube, das war auch aus Dankbarkeit", vermutet Werner Hasemann und erzählt, dass viele SPD-Politiker in der Nachbarschaft wohnten. Einer von ihnen ist der Vahr treu geblieben: Bremens ehemaliger Bürgermeister Hans Koschnick lebt noch immer hier. Werner Hasemann verließ den Stadtteil, als er sein Studium aufnahm. Er wurde Lehrer, heiratete und gründete eine Familie. Heute lebt er in Thedinghausen. Gemeinsam mit seinem Sohn Oliver blickt er nun über die Neue Vahr - vom Dach des 65 Meter hohen Hochhauses. Das war vom finnischen Architekten Alvar Aalto entworfen worden und gilt als Wahrzeichen des Stadtteils. Das Haus steht unter Denkmalsschutz und war lange Zeit das höchste Wohnhochhaus Deutschlands. "Die Neue Vahr ist für mich immer noch ein Stück Heimat. Ich glaube, sie ist noch grüner geworden", sagt Werner Hasemann und blickt wehmütig auf die überwältigende Aussicht. Zum Jubiläum suchen wir Zeitzeugen. Wer seine Erinnerungen mitteilen möchte, kann sich in der Redaktion melden: STADTTEILKURIER, Martinistraße 43, 28195 Bremen, Fax 36 71 36 16, E-Mail: stadtteilkurier@btag.info

© www.weser-kurier.de | von der WESER-KURIER Mitarbeiterin Tina Groll, FOTOS: Petra Stubbe, Frank-Thomas Koch

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

hallo,
da ich am mittwoch in den norden gereist komme, wüsste ich gern ob am nächsten wochenende ein spaziergang geplant ist?
grüße aus heidelberg, ila.