Freitag, 22. Februar 2008

"Neues aus Übersee" am 09.03.2008 um 15.00Uhr

Neues aus Übersee

Nach Maßstäben der Stadtentwicklung ist die apostrophierte Überseestadt ein junger Stadtteil und der Wandel vom Hafenquartier zu einer modernen Waterfrontcity steckt noch in den Kinderschuhen. Die sichtbaren Veränderungen repräsentieren somit einen sehr kurzen und begrenzten Ausschnitt einer langfristigen Entwicklung. Dennoch lassen sich schon jetzt aus diesem sichtbaren Ausschnitt und seinem zugrundeliegenden Masterplan Folgerungen über die weitere Entwicklung des Quartiers ziehen.
Inmitten von Brachflächen und leerstehenden Gebäuden wachsen immer neue, vorbildlich angelegte Straßenzüge und versorgen das gesamte Gebiet mit einer schachbrettartigen Verkehrsinfrastruktur. Um den Kopf des Europahafens drängeln sich die neuentstandenen Bürogebäude geradzu und wimmelt es von Fahrzeugen und Menschen. Zwischen dieser vitalen Umwidmung verblassen vergessene oder demonstrativ arrangierte Versatzstücke des einstigen maritimen Lebens. Die weite Welt ist hier, trotz der Anlage einer Marina mit abgesetzter Flaniermeile entlang der Spundwände, nur noch ein Mausklick entfernt.
Über andere Areale klingt der Ruf der Seemöwen hingegen ungestört. Die Hafenwirtschaft ist hier nicht mehr aktiv, aber es zeichnet sich auch noch keine konkrete neue Nutzung ab. Diese Flächen bieten Raum für die freie Entfaltung von Ideen ein, die in der dicht bebauten und dicht mit Nutzungen und Ansprüchen besetzten Innenstadt keinen Platz und keine Akzeptanz finden. Diese Freiheit besteht allerdings nur solange, bis sie von den Leitlinien eines Masterplans beschnitten wird und die struktuierte Stadtentwicklung Besitz von diesen Räumen ergreift.

Zu unserem Urbanen Spaziergang laden wir dazu ein, den Fortschritt und den Stillstand in der Überseestadt mit uns zusammen zu erleben.

Datum: am Sonntag, den 09.03.2008
Startort: Eduard-Schopf-Allee in 28217 Bremen
Zeit: 15.00Uhr

Text: Oliver Hasemann, Titel: Alexander Kutsch, Foto: Daniel Schnier, Gestaltung: Alexander Kutsch und Daniel Schnier

Freitag, 15. Februar 2008

WESER KURIER, 14.02.2008

Einst eine Zweckgeburt am anderen Ufer
Urbaner Spaziergang durch die Neustadt

NEUSTADT (XCK). Jede strahlende Innenstadt hat ihre Kehrseite. In Bremen wurde diese Rolle jahrhundertelang der alten Neustadt, die sich zwischen Hohentor und Buntentor erstreckt, zugeschoben. Zu einem "Urbanen Spaziergang" unter dem Titel "Kehrseite Neustadt - Zweckgeburt am anderen Ufer" lud vor kurzem das "Autonome Architektur Atelier" ein.
Von der ehemaligen Güldenhausbrennerei aus ging es durch den Kern der Neustadt, die im 17. Jahrhundert im Zuge des Befestigungsbaus angelegt wurde. "Wirklich gewollt war die Neustadt nicht, aber die unruhigen Zeiten des 30-jährigen Krieges machten den Bau moderner Befestigungsanlagen notwendig. Sie integrierten auch das Neustadtufer, um den Beschuss der Altstadt über den Fluss zu verhindern", berichtete Oliver Hasemann vom "Autonomen Architektur-Atelier", als die Spaziergänger an den Grünanlagen am Hohentorsplatz angekommen waren.
Dass trotzdem keine große Sympathie für die Neustadt vorhanden war, lasse sich aber noch heute an der im Vergleich zur Altstadt eher schlichten Gestaltung der Neustadtswallanlagen erkennen. Insgesamt seien der Neustadt gerne Anlagen und Institutionen aufgebürdet worden, die in der Innenstadt ungern gesehen wurden. Die Verlegung des Schweinemarkts zähle ebenso dazu wie das Gaswerk oder auch die städtischen Kasernen, an deren Stelle sich heute das Südbad befindet. Welches Gewerbe für die Neustadt prägend war und ist, sollte sich später noch den rund 40 Teilnehmern zeigen.
Von der ehemaligen Güldenhausfabrik führte die Route an der Brauerei Beck & Co und der Schokoladenfabrik Hachez vorbei auf den Lucie-Flechtmann-Platz. Dass dieser Ort geradezu ein Beispiel für Plätze sei, "die die Welt nicht braucht", erklärte Daniel Schnier anhand der weiten, gepflasterten Fläche. Als Ersatz für den inzwischen bebauten Grünenkamp biete er eigentlich Platz genug für verschiedene Veranstaltungen oder auch Wochenmärkte, die aber nach Erfahrung der anwesenden Neustädter nicht sehr gut angenommen wurden.
Beispiele dafür, wie sich lebenswerte Freiräume und Wohnformen umsetzen lassen, zeigten sich hingegen in der Grünenstraße. Mit viel Eigeninitiative und genossenschaftlicher Unterstützung entstanden hier in den Häusern 17 und 18 Wohnprojekte, die hohen ökologischen Standards gerecht werden und sich "der üblichen Eigentumsakkumulation entzogen haben".
Über die Brautstraße, der ehemaligen Zufahrt zur Brautbrücke über die Kleine Weser, ging es weiter auf den Neuen Markt. Unter dem kleinen Roland fiel der Blick direkt auf die Martinikirche, die bis zum Bau der St.-Pauli-Kirche von den Neustädtern frequentiert wurde.
In der Rückertstraße verwies Alexander Kutsch auf die für das ausgehende 19. Jahrhundert in Bremen ungewöhnlich hohe Bebauung, die eher an das Ruhrgebiet oder an Berlin erinnere und wegen ihrer Besonderheit als Ensemble unter Denkmalschutz steht. "Wenn hier mal eine Wohnung frei wird, dann ist sie eigentlich sofort wieder vermietet", brachte Marika Steinke ihre eigenen Erfahrungen als Bewohnerin mit ein. Die Nähe zur Innenstadt und die ruhigen, hohen Wohnungen bieten hier eine Wohnqualität, die für viele Bremer attraktiv sei.
Diese Vorzüge treten allerdings erst seit jüngerer Vergangenheit zutage. Zur Entstehungszeit dieser Gebäude hatte sich hier damals das Gängeviertel befunden. In den Innenhöfen der Wohnblocks war jeder verfügbare Raum für Kleinstbauten genutzt worden, die sich an schmalen Gängen aufreihten. Auf wenigen Quadratmetern drängten sich die Arbeiter der Tabakfabriken mit ihren Familien, die unter schwierigsten hygienischen Bedingungen leben mussten.
Entspannung fanden die Neustädter hingegen bei Bootsfahrten auf der Piepe, dem letzten offen gelassenen Stück ihrer einstigen Befestigungsanlagen. Hier am Buntentor, dem zweiten historischen Stadttor, führte der "Urbane Spaziergang" aus der historischen alten Neustadt in den Buntentorsteinweg. An der alten Remmer -Brauerei vorbei, die mittlerweile zum Kulturzentrum mit Schwankhalle und Städtischer Galerie umgebaut wurde, fand der Spaziergang dann schließlich sein krönendes Ende.
Das "Autonome Architektur Atelier" in Bremen veranstaltet regelmäßig "Urbane Spaziergänge", bei denen versteckte Orte im Bremer Stadtgebiet erkundet werden. Ankündigungen zu diesen "Urbanen Spaziergängen" sind unserer Zeitung zu entnehmen oder im Internet abrufbar unter www.aaa-bremen.de.

© www.weser-kurier.de | WESER-KURIER Redaktion Stadtteil-Kurier, FOTO: Walter Gerbracht