Dienstag, 26. Oktober 2010

Lesung, Schwarze Steine am 29.10.2010 in der ABFERTIGUNG

Sehr geehrte Freundinnen und sehr geehrte Freunde des AAA,


am kommenden Freitag 29. Oktober 2010 um 19Uhr findet im Rahmen des Projekts "Schwarze Steine" eine Lesung in der ABFERTIGUNG Hansator statt. Auf dieser Lesung tragen Sönke Busch und Oliver Hasemann 10 Texte zu Bremer Orten vor, die

sie im Rahmen ihres Projekts "Schwarze Steine" aufgesucht haben. Es geht in diesen Texten um unsere Erinnerungen an diese Orte und wir schnell diese durch den Alltag verdrängt werden. Die Lesung will hierbei den Lack abkratzen und in die jüngere Vergangenheit einladen.


Ab 19Uhr ist Einlass, Beginn der Lesung ab 20uhr.

http://www.abfertigung.de

www://www.aaa-bremen.de

Mittwoch, 20. Oktober 2010

WESER KURIER, 20.10.2010


Natur erobert die Stadt zurück
Pflanzen und Tiere siedeln sich nach und nach auf Brachflächen an

Von York Schäfer Bremen. Das strahlende Gelb hebt sich ab vom steinigen, grau-schwarzen Untergrund. Wie leuchtende Miniaturlämpchen auf verbrannter Erde wirken die Blüten der kleinen struppigen Pflanzen hier auf der Brachfläche hinter dem alten Güterbahnhof. Die ehemaligen Gleisbetten auf dem kargen Gelände mitten in der Stadt wurden mit Schottersteinen zugeschüttet, dazwischen wuchert das sogenannte schmalblättrige Greiskraut, in den 1960er Jahren eingewandert aus Südafrika. Keck und grellgelb sprießt es hervor, als wäre der Sommer nicht schon längst vorbei.

Brachflächen, auf denen sich die Natur ihren Raum langsam zurückerobert, Zwischenorte von Stadt und Land, gibt es einige in Bremen. Das Areal um den Neustädter Güterbahnhof gehört dazu oder der Industriepark in Oslebshausen. Dieser Ort hier liegt zentral in City- und Bahnhofsnähe, um die zehn Hektar dürften es sein, eingezäunt von der Hochstraße Richtung Walle, den Bahngleisen der Strecke Bremen-Oldenburg und den Türmen eines Müllentsorgungsbetriebes.
"Die Eingrenzung zwischen Straße, Bahn und Gewerbe macht das Gebiet unattraktiv für weitere Ansiedlungen. Es ist nur mit großem Aufwand erschließbar", sagt der Bremer Raumplaner Oliver Hasemann. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich im vorderen Bereich des Geländes nach langem Hickhack mit der Stadt die Bewohner eines alternativen Dorfes mit ihren Bauwagen niedergelassen haben. Hasemann kennt das Gelände gut. Im vergangenen Jahr hat der 35-Jährige mit einer Gruppe von Urbanisten hier das vierwöchige Festival "AufAuf" mit Konzerten, Lesungen und Kunstaktionen veranstaltet, um das Areal zu nutzen und bekannter zu machen.
Der Raumplaner war vor vier Jahren auch Mitbegründer des Autonomen Architektur Ateliers (AAA), das seitdem urbane Spaziergänge an eher ungewöhnliche Stadtorte jenseits von Roland, Rathaus und Weserstadion anbietet. "Es geht um das zweite Hinschauen", sagt Hasemann. Um mehr Bewusstsein für die Stadt als Lebensraum einschließlich ihrer Schmuddelecken und Schattenseiten.
Wandert man auf dem Güterbahnhofsgelände weiter, wird die Vegetation dichter, die Pioniergewächse wuchern prächtig, bis zu sechs, sieben Meter hohe Birken haben sich ausgebreitet. "Die kommen auf solchen Brachen immer zuerst", weiß die Landschaftsökologin Ute Schadek, die sich für ein Forschungsprojekt der Universität Oldenburg mit derartigen Stadtbrachen beschäftigt hat.
Das erwähnte gelb blühende Greiskraut aus Südafrika zum Beispiel hat sich über den Import von Baumwolle in die Häfen Bremens und des Ruhrgebietes und von dort entlang der Bahnstrecken verbreitet. "Die Vielfalt an Flora und Fauna auf solchen Brachflächen ist wegen der dort oft schnell wechselnden Umweltbedingungen zwischen sehr feucht und sehr trocken recht vielfältig", erklärt die Ökologin.
Ute Schadek spricht von "Rote Liste-Arten", Tieren und Pflanzen, die sehr selten vorkommen oder vom Aussterben bedroht sind - und wahrscheinlich ein rotes Tuch darstellen für jeden Gewerbeansiedlungsplaner. Zum Beispiel ein Insekt mit dem schönen Namen "Blauflügelige Ödlandschrecke", eine im Nordwesten seltene und geschützte Heuschreckenart, die sich auf dem 140 Hektar großen Areal des Bremer Industrieparks in Oslebshausen verbreitet hat. Sieben Jahre seien derartige Flächen nach der Erschließung für wirtschaftliche Zwecke geschützt, sagt Ökologin Schadek, danach könnten neue Konflikte mit Naturschützern ins Haus stehen.
Das von der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) verwaltete Gewerbegebiet in Angrenzung an die Stahlwerke von Arcelor Mittal wurde seit Mitte der 1990er-Jahre für viel Geld vom Land Bremen erschlossen. Heute sind davon gerade einmal 30 Hektar verkauft.
Dabei ist die Infrastruktur für gewerbliche Ansiedlungen auf dem erschlossenen Ödland durchaus gegeben. Es gibt Straßenanschlüsse, Leitungen für Wasser, Strom und Kommunikation. "Der Großinvestor kann jederzeit vor der Tür stehen", sagt Oliver Hasemann mit leicht ironischem Unterton. Was es aber aber auch gibt, sind Rehe, Füchse, Turmfalken und Marder, vielleicht sogar Dachse an den schmalen, von hohem Schilf umwucherten Kanälen. Die Natur ist zurück. Auf dem ungleich größeren Nachbargelände der Stahlwerke ist sogar ein Jagdpächter unterwegs. Eine Begehung wollte Arcelor Mittal nicht gestatten.
Schon bei der Fahrt zum Industriepark durch dieses Niemandsland zwischen Urbanität und Naturidyll, fällt etwas abgelegen rechts der Straße das fast verwunschen in einer überwucherten Stadtwildnis liegende alte Verwaltungsgebäude von Arcelor Mittal auf. Im Mai 2007 sind die Stahlwerke als Mieter aus dem postmodernen 80er-Jahre-Gebäude ausgezogen, seitdem erobert sich die Natur auch hier mit erstaunlichem Tempo das Areal zurück. Auf dem ehemaligen Parkplatz sprießt das Unkraut zwischen den Pflastersteinen hervor, ein dichter grüner Wall umsäumt das Haus. Am Eingangsbereich türmt sich der Glasbruch, seitlich davor steht eine rostige Skulptur aus Stahl wie ein Mahnmal an vergangene Zeiten. "Als die Kunst noch schwer war", kommentiert Oliver Hasemann.
Mit verführerischem Glanz spiegelt sich das Sonnenlicht auf der Glasfassade des Gebäudes. Ein fast idyllischer Ort mit kleinen Wiesen voller Gräser, Büsche und Bäume und einem Miniatursee dahinter. Aber auch ein Ort, der durchsetzt ist vom Charme der Verlassenheit und des Verfalls wie in einer postapokalyptischen Filmkulisse. Aber aus derartiger Romantik wird wohl nichts. Ein Sprecher der Stahlwerke spekuliert, dass das Gebäude wohl abgerissen wird. Eine Sanierung sei zu teuer. Eigentlich wäre es schade drum.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Bremer Nachrichten Seite: 10 Datum: 20.10.2010, Bericht von York Schäfer, Fotografie von Marcus Reichmann

Donnerstag, 7. Oktober 2010

WESER KURIER, 04.10.2010

Kleine, versteckte Oasen der Ruhe
Urbaner Spaziergang des Autonomen Architekten Ateliers (AAA) führt die Teilnehmer an die Landesgrenze


Von Sandra Töbe Kattenturm. Die "Zwischenstadt" - sie ist ein Ort ohne Zentrum, laut, oft unästhetisch und ständig im Wandel. Die Bedürfnisse einer mobilen Gesellschaft treffen auf die Überbleibsel einer zur Randzone verdammten Natur. Der dritte urbane Spaziergang, erneut organisiert vom Autonomen Architektur Atelier (AAA) und dem Verein Ökostadt, führt zur Landesgrenze an der Kattenturmer Heerstraße, zu funktionalen Outlets, schwindenden Nachbarschaften und zu kleinen, versteckten Oasen der Ruhe.
Treffpunkt bei strömendem Regen ist die Bushaltestelle Carl-Zeiss-Straße. Hier, direkt an der Kattenturmer Heerstraße, dem "Geräuschkanal", kann man kaum sein eigenes Wort verstehen. Der Verkehr fließt unablässig Richtung Autobahn in die Orte des Umlandes und wieder zurück nach Bremen. Die Straße ist ein Produkt der Urbanisierung, wer dort draußen wohnt, ist auf das Auto angewiesen. Darum gibt es hier zahlreiche Tankstellen, große Parkplätze und Schnellrestaurants.
Plötzlich ein einsames Einfamilienhaus, eingezwängt zwischen Durchgangsstraße, Tankstelle und den mächtigen Hallen der Outlets. "Einer der letzten Eigentümer", weiß Oliver Hasemann. "Vor ihm ist die Straße, hinter ihm das Nichts." Ein altes Tor daneben erinnert daran, dass dies mal eine Kuhweide war.
Nichts für das Auge Über asphaltierte Parkplätze führen Hasemann und sein Kollege Daniel Schnier die Gruppe, vorbei an grauen Verkaufshallen. Alles hier ist groß und weitläufig, aber nichts wurde für das Auge geschaffen. Vor einem italienischen Schnellrestaurant steht ein Olivenbaum, eingetopft und deplaziert unterstreicht diese kleine Erinnerung an italienische Lebenskunst nur die reizarme Öde des Ortes. "37 Geschäfte gibt es hier", sagt Hasemann, "16500 Quadratmeter Fläche. Bundesweit eines der größten Outlets." Wenn man durch den Flur eines der Gebäude schaut, sieht man am anderen Ende das Weideland, die "Raumkante", wie Schnier das nennt. Am Ende des Parkplatzes fällt der Boden ab, und man hat einen freien Blick auf die eingezäunten Wiesen rund um den Flughafen. Das Ende des Parkplatzes kommt abrupt, als wäre den Konstrukteuren der Asphalt ausgegangen.
Zurück geht es zur Kattenturmer Heerstraße, vorbei an den ehemaligen Parzellen neben der Ochtum. Längst sind es kleine Häuschen, die sich mit Schutzwänden und Gewächsen vom geschäftlichen Treiben der Nachbarschaft abzugrenzen suchen. "Wohnen in grauen Nischen", sagt Schnier dazu.
Über die stille Oase der Ochtum mit ihren verträumt ins Wasser reichenden Bäumen hinweg führt der Weg nach Bremen. Die Häuser hier sind ein bunter Mix aus frühen Nachkriegsbauten und nicht mehr ganz neuen Reihenhäusern. Individuell und bunt gestaltete Eingänge wechseln sich ab mit verwahrlosten Vorgärten hinter denen sich Leerstände verbergen. Opfer der Straße, die das Leben hier zum "akustischen Alptraum" macht. So jedenfalls nennt das Hasemann, und die Anwohner werden ihm Recht geben. Das Fahrverbot für Lastwagen war ein Versuch, den Lärm zu reduzieren. Inzwischen ist es wieder aufgehoben.
Nach einigen Hundert Metern endlich etwas Grün - der Wolfskuhlenweg. Durch den kleinen Park führt der Weg in die historische Siedlung, auch dies ein ehemaliges Parzellengebiet. Heute haben die Menschen unbegrenztes Wohnrecht.
Es ist ruhig hier, fast idyllisch. Wege, die zum Flanieren einladen, in den Gärten stehen Obstbäume. Dann plötzlich ein Grollen, das zum ohrenbetäubenden Lärm anschwillt - ein Flugzeug im Landeanflug. Sie fliegen bereits so tief, dass man meint, sie fast berühren zu können. Im vergangenen Jahr gab es 43000 Flugbewegungen, erzählt Hasemann. Der Flughafen ist ein Wirtschaftsfaktor. "Deshalb ist er immer noch mitten in der Stadt." Gefahr droht der Wohnsiedlung aber vor allem von anderer Seite. Die Verlängerung der A 281 soll hier durchgeführt werden. Es wäre vermutlich das Ende des kleinen Idylls, das bereits jetzt umzingelt ist von zwei Hauptverkehrsadern und dem Flughafen. Am Ende des matschigen, unebenen Weges liegt die Neuenlander Straße, das Ende des urbanen Spaziergangs. Der Verkehr ist wieder da und mit ihm die Geräuschkulisse. Kaum zu glauben, dass nur ein paar Meter zurück eine fast magische Stille herrscht. Noch.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 04.10.2010 Text: Sandra Töbe, Foto: Walter Gerbracht