Donnerstag, 7. Oktober 2010

WESER KURIER, 04.10.2010

Kleine, versteckte Oasen der Ruhe
Urbaner Spaziergang des Autonomen Architekten Ateliers (AAA) führt die Teilnehmer an die Landesgrenze


Von Sandra Töbe Kattenturm. Die "Zwischenstadt" - sie ist ein Ort ohne Zentrum, laut, oft unästhetisch und ständig im Wandel. Die Bedürfnisse einer mobilen Gesellschaft treffen auf die Überbleibsel einer zur Randzone verdammten Natur. Der dritte urbane Spaziergang, erneut organisiert vom Autonomen Architektur Atelier (AAA) und dem Verein Ökostadt, führt zur Landesgrenze an der Kattenturmer Heerstraße, zu funktionalen Outlets, schwindenden Nachbarschaften und zu kleinen, versteckten Oasen der Ruhe.
Treffpunkt bei strömendem Regen ist die Bushaltestelle Carl-Zeiss-Straße. Hier, direkt an der Kattenturmer Heerstraße, dem "Geräuschkanal", kann man kaum sein eigenes Wort verstehen. Der Verkehr fließt unablässig Richtung Autobahn in die Orte des Umlandes und wieder zurück nach Bremen. Die Straße ist ein Produkt der Urbanisierung, wer dort draußen wohnt, ist auf das Auto angewiesen. Darum gibt es hier zahlreiche Tankstellen, große Parkplätze und Schnellrestaurants.
Plötzlich ein einsames Einfamilienhaus, eingezwängt zwischen Durchgangsstraße, Tankstelle und den mächtigen Hallen der Outlets. "Einer der letzten Eigentümer", weiß Oliver Hasemann. "Vor ihm ist die Straße, hinter ihm das Nichts." Ein altes Tor daneben erinnert daran, dass dies mal eine Kuhweide war.
Nichts für das Auge Über asphaltierte Parkplätze führen Hasemann und sein Kollege Daniel Schnier die Gruppe, vorbei an grauen Verkaufshallen. Alles hier ist groß und weitläufig, aber nichts wurde für das Auge geschaffen. Vor einem italienischen Schnellrestaurant steht ein Olivenbaum, eingetopft und deplaziert unterstreicht diese kleine Erinnerung an italienische Lebenskunst nur die reizarme Öde des Ortes. "37 Geschäfte gibt es hier", sagt Hasemann, "16500 Quadratmeter Fläche. Bundesweit eines der größten Outlets." Wenn man durch den Flur eines der Gebäude schaut, sieht man am anderen Ende das Weideland, die "Raumkante", wie Schnier das nennt. Am Ende des Parkplatzes fällt der Boden ab, und man hat einen freien Blick auf die eingezäunten Wiesen rund um den Flughafen. Das Ende des Parkplatzes kommt abrupt, als wäre den Konstrukteuren der Asphalt ausgegangen.
Zurück geht es zur Kattenturmer Heerstraße, vorbei an den ehemaligen Parzellen neben der Ochtum. Längst sind es kleine Häuschen, die sich mit Schutzwänden und Gewächsen vom geschäftlichen Treiben der Nachbarschaft abzugrenzen suchen. "Wohnen in grauen Nischen", sagt Schnier dazu.
Über die stille Oase der Ochtum mit ihren verträumt ins Wasser reichenden Bäumen hinweg führt der Weg nach Bremen. Die Häuser hier sind ein bunter Mix aus frühen Nachkriegsbauten und nicht mehr ganz neuen Reihenhäusern. Individuell und bunt gestaltete Eingänge wechseln sich ab mit verwahrlosten Vorgärten hinter denen sich Leerstände verbergen. Opfer der Straße, die das Leben hier zum "akustischen Alptraum" macht. So jedenfalls nennt das Hasemann, und die Anwohner werden ihm Recht geben. Das Fahrverbot für Lastwagen war ein Versuch, den Lärm zu reduzieren. Inzwischen ist es wieder aufgehoben.
Nach einigen Hundert Metern endlich etwas Grün - der Wolfskuhlenweg. Durch den kleinen Park führt der Weg in die historische Siedlung, auch dies ein ehemaliges Parzellengebiet. Heute haben die Menschen unbegrenztes Wohnrecht.
Es ist ruhig hier, fast idyllisch. Wege, die zum Flanieren einladen, in den Gärten stehen Obstbäume. Dann plötzlich ein Grollen, das zum ohrenbetäubenden Lärm anschwillt - ein Flugzeug im Landeanflug. Sie fliegen bereits so tief, dass man meint, sie fast berühren zu können. Im vergangenen Jahr gab es 43000 Flugbewegungen, erzählt Hasemann. Der Flughafen ist ein Wirtschaftsfaktor. "Deshalb ist er immer noch mitten in der Stadt." Gefahr droht der Wohnsiedlung aber vor allem von anderer Seite. Die Verlängerung der A 281 soll hier durchgeführt werden. Es wäre vermutlich das Ende des kleinen Idylls, das bereits jetzt umzingelt ist von zwei Hauptverkehrsadern und dem Flughafen. Am Ende des matschigen, unebenen Weges liegt die Neuenlander Straße, das Ende des urbanen Spaziergangs. Der Verkehr ist wieder da und mit ihm die Geräuschkulisse. Kaum zu glauben, dass nur ein paar Meter zurück eine fast magische Stille herrscht. Noch.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 04.10.2010 Text: Sandra Töbe, Foto: Walter Gerbracht

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