taz, 22.10.2007
Mit Rammstein gegen das Vergessen
Ein mobiles Kunstprojekt rückt Bremens Touristen-Magneten wie Roselius Böttcherstraße in ein neues Licht
Eine seltsame Prozession war am Samstagabend in der Böttcherstraße zu beobachten: 90 Menschen, die umnebelt von Räucherstäbchen einem Lastenrad folgen, von dessen Ladefläche die aggressive Musik der Deutschrock-Band Rammstein dröhnt. Einige Passanten, die durch die Touristen-Gasse schlenderten, ergriffen sofort die Flucht, andere fragten, ob es sich um eine Fanclub-Aktion handele. Die Auflösung: Die Performance gehörte zu einem Kunst-Projekt und sollte auf den kruden Entstehungskontext der Touristenattraktion aufmerksam machen: "Roselius, der Stifter der Böttcherstraße, war nicht nur kunstbesessen, sondern auch besessen vom völkischen Weltbild, aber das wird bei ihrer Vermarktung gerne unterschlagen," hieß es zuvor in einem Vortrag.
An insgesamt acht Stationen rückten das "Autonome Architektur Atelier" zusammen mit der Medienkunstgruppe "share.bremen" zentrale Bremer Orte in eine Perspektive, die in Reiseführern meist ausgeblendet und in der Regel nur bei alternativen Stadtrundgängen sichtbar wird. Unter dem Titel "move.it!!" startete die vom Kultursenator unterstützte Tour am Wagenfeld Haus - heute bekannt als modernes Designzentrum, ursprünglich ein Gefängnis, bekannt als "Ostertorwache". Der Medienkünstler BNC, Initiator des Projekts, warf Innenansichten aus der Zeit, als hier Gestapo- und später Abschiebehäftlinge weggesperrt wurden, per Diaprojektor an die weiße Außenwand. Das öffentliche Denkmal, das auf die Vergangenheit des Gebäudes hinweist, ist vor einigen Jahren aus dem Blickfeld der Kulturmeilengänger entfernt worden und steht jetzt im vergitterten Nebenhof.
Beim Gerichtsgebäude am Domshof las Sönke Busch die "Kurze Geschichte meiner Mutter". Darin geht es um Zwangssterilisationen im NS-Regime, sowie um die Konsequenzen von Präzedenzfällen, die während dieser Zeit hier verhandelt wurden. Durch Installationen und Vorträge im Martinitunnel und an der Schlachte, wo die Touristen-Web-Cam zeitweilig umgenutzt wurde, beleuchteten danach verschiedene Künstler, wie und von wem die Stadt in Besitz genommen wird. Begleitet von Elektroklängen hallte diese Frage nach, als die dreistündige Tour gegenüber der Weserburg am Sol LeWitt-Kunstwerk endete, das demnächst dem Bauvorhaben eines Bremer Investors weichen soll. D. Ahlemeyer
22.10.2007 taz Nord Bremen Aktuell 79 Zeilen, D. Ahlemeyer S. 24nur in taz-Teilauflage FOTO: DPA
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