Samstag, 2. Juni 2007

WESER KURIER, 31.05.2007

Vorbei an Wurst und Coca-Cola
Autonomes Architektur Atelier führte durch Hemelinger Industriegeschichte

HEMELINGEN. Was heute als ein typischer Auswuchs der Globalisierung gilt, hat seinen Ursprung während des industriellen Zeitalters Mitte des 19. Jahrhunderts. Während heute in der Industrie die Produktion in Niedriglohnländer wie China verlagert wird, tat man ähnliches auch schon vor 150 Jahren in Bremen. Auf einem der urbanen Spaziergänge des Autonomen Architektur Atelier (AAA) am Sonntag ging es durch Hemelingen.

Als der heutige Bremer Stadtteil Hemelingen noch eigenständig war und zum Königreich Hannover gehörte, wurde hier vor den Toren der Stadt produziert. Das war günstig und es gab keine Schwierigkeiten etwa mit Emissionen. Die Industrieanlagen standen damals im Grünen, erst im Laufe der Jahre und durch den Bevölkerungszuwachs im Rahmen des industriellen Wachstums wucherten Wohngebiet und Industriegebiet zusammen. Welche Altlasten die intensive industrielle Nutzung im Stadtteil hinterlassen hat, wird bei einem Gründstück in Bahnhofsnähe deutlich. Bevor hier auch nur ein einziger neuer Grundstein gelegt werden kann, muss das verseuchte Erdreich gereinigt werden.

Mit dem Bau der Bahnlinie nach Hannover im Jahre 1847 wurde die Basis geschaffen für eine intensive Industrialisierung von Hemelingen, die bis vor etwa 20 Jahren anhielt. Zu dieser Zeit schlossen viele der Traditionsunternehmen, wie Nordmende oder Focke-Wulf, für den Stadtteil begann der Wandel. Seit zehn Jahren befindet sich Hemelingen im Förderungsprogramm zu Sanierung alter Industrieviertel, die Fortschritte gehen schleppend voran. Heute ist Hemelingen ein von der Infrastruktur geradezu zerrissener Stadtteil.

In der Bahnhofstraße stehen viele Ladenlokale leer, unter anderem auch die Apotheke, die um die vorige Jahrhundertwende gebaut wurde. Das Gebäude steht zum Verkauf, nach einem Investor wird gesucht. Es gibt wenige Geschäfte für die Waren des täglichen Bedarfs, die man zu Fuß erreichen kann, der Stadtteil ist immer noch geprägt von der Zeit, als die Arbeiter zu ihrem Betrieb pendelten und abends wieder nach Hause fuhren.

"Es war wohl als Motor für die Stadtsanierung gedacht, mit dem Bau des Hemelinger Tunnels anzufangen", vermutet Raumplaner Alexander Kutsch, der die Stadtspaziergänge gemeinsam mit Oliver Hasemann, der ebenfalls Raumplaner ist, und dem Architekten Daniel Schnier anbietet. Zu Fuß erlaufen die Teilnehmer der Rundgänge des AAA Stadtteile und erfahren etwas über den Wandel, den dies im Laufe der Jahre durchlaufen haben.

Und so landeten die etwa 50 Teilnehmer des Rundgangs am Sonntag auch wieder einmal an unerwarteten Orten. Denn wer Hemelingen in seiner ganzen Länge durchqueren will, steht auf einmal vor der großen Kreuzung, von der der Hemelinger Tunnel in die Tiefe abtaucht.Auf der anderen Seite der Straße gelangt man durchs Gebüsch an den Allerhafen. Als der Hafen Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde, war er ein Hauptverkehrsknotenpunkt für den Transport von Kohle, Kies, Sand und Bier, das damals noch in Hemelingen gebraut wurde. Inzwischen ist der Güterverkehr auf Straße und Gleis verlagert worden, der Fluss verliert an Bedeutung. Dafür soll der Hemelinger Tunnel, der 2003 eröffnet wurde, Hemelingen vom gewaltigen Verkehrsaufkommen durch Personen- und Warenverkehr entlasten. Die beiden Großbetriebe in Hemelingen, Coca-Cola und der Wursthersteller Könecke, orientieren sich auch zur Straße hin.

Dass bei den Versuchen der Stadtsanierung in Hemelingen Autos und nicht Fußgänger im Mittelpunkt stehen, beweisen gutgemeinte Versuche am Hemelinger Bahnhof. Hier wurde die Unterführung zwar neu gestaltet, dafür fehlt auf der einen Seite die Rampe.

Von Barrierefreiheit kann keine Rede sein. "Der Stadtplaner, der das verbrochen hat, müsste hier jeden Tag stehen und die Kinderwagen hochtragen", echauffiert sich eine Teilnehmerin des Spaziergangs. Am hinteren Ende der Godehardstraße, an der auch das Bürgerhaus sitzt, sind Grundstücke für ein neues Wohngebiet ausgewiesen. Das lange geplante Zentrum KUBIKO soll das neue Herz von Hemelingen werden, ein Versuch der Revitalisierung eines Stadtteils. "Es wird hier deutlich, dass die bauliche Aufwertung, die ’Investition in Steine’ alleine nicht reicht, um den Strukturwandel herbeizuführen", meint Oliver Hasemann.

Der nächste urbane Spaziergang des AAA ist für Sonntag, 10. Juni, geplant. Unter dem Motto "AAA 281 - Abflug, Abriss, Abfahrt!" geht es durch die Airportcity. Treffpunkt um 15 Uhr ist der Terminal Abflug des Flughafens in der Flughafenallee.

© www.weser-kurier.de | von der WESER-KURIER Mitarbeiterin Catharina Oppitz, FOTOS: Petra Stubbe

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